Fachvortrag über EMDR – AMEC 2014 Paris

Behandlung belastender Lebenssituationen mit EMDR

Ich bin als Referentin zu diesem Kongress eingeladen worden, um Ihnen über das Thema: Behandlung belastender Lebenssituationen mit EMDR zu berichten. Ich bin seit 1993 niedergelassen als Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalytikerin und habe mich zunehmend zusätzlich auf Traumatherapie ausgerichtet.

Seit 2002 bin ich als EMDR Therapeutin zertifiziert und arbeite auch seitdem mit dieser Technik. Als ich die Einladung für diesen Vortrag erhielt, habe ich mich zunächst gefreut, eine Gelegenheit zu bekommen, EMDR außerhalb unserer psychotherapeutischen Fachkreise verbreiten zu helfen. Dann fragte ich mich allerdings, wieso eigentlich hier, auf einem Kongress für Aesthetische Medizin und Anti Aging? Und dachte dann: ja, indirekt stimmt es: EMDR kann verjüngen und das Altern aufhalten ganz ohne Skalpell oder Pharmakologie, indem es pathologischen Stress aufzulösen vermag. Seit langem ist bekannt: Stress, v.a. Dauerstress verändert langfristig biochemisch jede einzelne Zelle und damit auch das Gewebe, verändert damit ihre Funktion und lässt es vorzeitig altern.

Die durch Stressreduktion erreichbare Verbesserung der Lebensqualität halte ich persönlich allerdings für das entscheidende Moment, auch um langfristig gesund zu bleiben. Daher macht es, egal aus welchem Grund, größten Sinn, inneren Stress zu reduzieren, wo und wann immer jeder kann. Da ich nicht davon ausgehen kann, dass die meisten von Ihnen hier Traumatherapeuten sind, werde ich in meinen weiteren Ausführungen über EMDR versuchen allgemein und leicht verständlich halten. Was ist nun EMDR? Ich werde mich kurz fassen, da das Thema komplex ist und wir nicht viel Zeit haben. Ausformuliert heißt diese Abkürzung: Eye Movement Desensitization and Reprocessing. Es ist eine Psychotherapieform, bzw. eine Technik in der Psychotherapie, die ca. 1990 von der kalifornischen Psychologin Dr. Francine Shapiro entwickelt wurde, zur Behandlung von Traumafolgestörungen. Einfacher könnte man auch sagen zur sogenannten Anregung von Informationsneuverarbeitung belastender Lebenssituationen im Gehirn, mittels schneller Augenbewegungen, abwechselnd von re. nach li. Inzwischen weiß man, dass diese sogenannte bilaterale Stimulation des Gehirns über die Augen auch mittels akustischer Signale oder taktilen, also Berührungsreizen erreicht werden kann, z.b. indem abwechselnd die re. und li. Hand berührt werden. In manchen Fällen kann man diese Technik direkt einsetzen oder es ergibt sich die Indikation dazu im Verlauf einer längeren psychotherapeutischen Behandlung. In einem Vortrag auf der europäischen EMDR Europa Konferenz Ende Juni 2014 war die Hauptattraktion der Vortrag von Francine Shapiro. Sie machte deutlich, dass EMDR sich nicht nur zur Behandlung der Folgen traumatischer Erfahrungen eignet, sondern auch für Symptome, die aus anderen belastenden Lebensereignissen resultieren und bspw. den Kern einer depressiven oder Angstsymptomatik bilden können. Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht absolut Sinn macht, belastende eigene Lebenserfahrungen mit EMDR „durchzuprozessieren“, um einer späteren depressiven Erkrankung entgegen zu wirken. Und das deckt sich sehr mit meinen persönlichen Erfahrungen in Langzeittherapien, wo sich deutliche langfristige positive Veränderungen eingestellt haben, nach dem Einsatz von EMDR . Wir leben inzwischen in einer unglaublich schnelllebigen Alltagswelt, voller unterschiedlichster Anforderungen, die uns extreme Anpassungsmechanismen abverlangen. Normalerweise sollte das Leben so sein, dass die in uns liegenden Fähigkeiten und Selbstheilungskräfte ausreichen, mit schwierigen bis schweren Lebenssituationen umgehen zu können. Und doch kann es dazu kommen, dass Ereignisse eintreten, plötzlich oder auch als Dauerbelastung, die unsere Kräfte übersteigen und dass es uns allein nicht mehr ausreichend gelingt, unsere Selbstregulation zu steuern. Hier kann der Einsatz von EMDR zunächst zur sogenannten Ressourceninstallation eingesetzt werden. In Belastungssituationen sind wir problemfokussiert, schauen also nur auf die eigenen Defizite und Misserfolge und verlieren den Bezug zu unserem Können oder auch zu unseren Bewältigungsstrategien. In der Therapie werden unsere Fähigkeiten und Kräfte wieder bewusst in den Focus geholt oder auch ein Zugang hierzu neu entwickelt. Hier gelingt es mit EMDR die neuen Erfahrungen tief zu verankert, was mit ausschließlichem Reden nicht in gleicher Weise erreicht werden kann. Übersteigt das Maß der Belastung durch spezielle Situationen unsere Kapazitäten jedoch, kommt es zu einer Art Kurzschluss in uns und die innere Verarbeitung kann nicht weiter fortschreiten und nicht abgeschlossen werden. Die Situation bleibt sozusagen stecken. Diese sogenannte Stressverarbeitungsstörung erzeugt nun pausenlos weiter Stress, wie schon der Name sagt, obwohl die Situation eventuell längst überstanden ist. Genau heißt das: wir spüren z.B. weiter extreme Unruhe, starkes Herzklopfen, Schwitzen. Schlafstörungen können auftreten, Ängste und Einiges mehr. Hier ist jetzt wichtig darauf hinzuweisen, dass EMDR nicht die natürlichen Reaktionen auf belastende Situationen verringert. Wir werden alle mehr oder weniger mit ziemlichem Stress auf massive Situationen reagieren. Tief in uns ist das Tier aktiv, im archaischen Sinne geht es um Flucht oder Angriff. Aber dann sollten wir uns auch wieder beruhigen können bis zu einem gewissen Maß, einen Umgang mit dem Problem finden. Derart, dass unser Körper nicht weiter extrem reagiert. Hält dies doch weiter an, liegt der Verdacht nahe, dass es zu einer sogenannten posttraumatischen Reaktion oder sogar zu einer Posttraumatischen Störung gekommen ist. Und hier würde nun EMDR zum Einsatz kommen. Mit dem Klienten wird die belastende Situation im sicheren Setting mit dem Therapeuten wieder in den Focus genommen und unter EMDR die sogenannte Nachprozessierung des Gehirns angeregt. Zur kurzen Verdeutlichung: In einer EMDR Sitzung wird eine Erinnerung fokussiert, die nicht genügend verarbeitet wurde und daher zu verschiedenen Symtomen geführt hat. Der Client konzentriert sich auf die Erinnerung in einer ganz bestimmten systematischen Weise, zu der er angeleitet wird, während gleichzeitig die bilaterale Stimulation ausgeführt wird. Unter dieser bilateralen Stimulation kommt es bei positivem Verlauf zum Nachlassen der belastenden Symptomatik. Ein Kollege hat es in einer Fortbildung einmal folgendermaßen beschrieben: es ist, als würde vor EMDR- Behandlung dauernd wieder eine Akte auf den Schreibtisch gelegt, mit dem Schild: Wiedervorlage. Nach EMDR steht anschließend Archiv darauf. Viele Situationen, die nur ungenügend verarbeitet werden konnten, sind, so wissen wir heute, im Organismus, genauer im Körpergedächnis abgespeichert. Inzwischen zeigen die Forschungen, dass nicht nur große Ereignisse, sondern auch sogenannte Bindungstraumata eine größere Rolle spielen, als zunächst angenommen. Damit sind die Situationen gemeint, wo wir auf Schutz und Zuwendung unserer Bezugspersonen angewiesen waren, weil wir uns noch nicht allein beruhigen konnten und genau das aber nicht bekommen haben. Gerade hat im September ein Kongress in Rom mit dem Thema Attachment and Trauma (Bindung und Trauma) stattgefunden. Die Kindheit liegt lange zurück, wir haben ja alles überstanden und beschäftigen uns nicht unbedingt weiter damit. Kommt nun im aktuellen Leben aber ein weiteres belastendes Lebensereignis, wie plötzliche Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes, finanzielle Nöte, Unfälle oder gar Verlust einer nahen Person oder auch Dauerbelastung in angespannten Arbeitsverhältnissen, Burn-out u. ä., kann es zu einer drastischen Reaktion unseres Erleben kommen. Denn diese Situationen sind u.a. gekennzeichnet durch Ohnmachts- und Hilflosigkeitserleben. Und genau diese Gefühle z.B. bewirken dann plötzlich eine Art emotionale Brücke zu lange zurückliegenden Ereignissen. Alte, unverarbeitete Gefühle werden sozusagen zusätzlich zur aktuellen Situation ausgelöst und beeinträchtigen uns plötzlich in einem schwer aushaltbaren Ausmaß, ohne dass uns bewusst ist, dass sie aus den frühen Situationen stammen. Auch hier kann es dann erforderlich sein, EMDR einzusetzen. Auch sehr lang zurückliegende Ereignisse, bzw. besser gesagt, die daraus noch unverarbeiteten Gefühle können unter EMDR im Hier und Jetzt einer Nachprozessierung zugeführt werden, unter deutlich absinkendem Stresslevel. Seitdem ich selber mit dieser Methode arbeite, bin immer wieder von der großen Wirksamkeit beeindruckt. Zuvor habe ich allerdings an mir selber die Wirkung von EMDR erfahren dürfen und bin daher absolut überzeugt von dieser Methode. Daher habe ich mich entschieden, Sie kurz zu einem Teilaspekt meiner traumatischen Vergangenheit mitzunehmen, um es etwas anschaulicher zu machen. Als 2 jähriges Kind erkrankte ich mit meiner Schwester und meiner Mutter an KIndrlähmung. Meine Mutter starb nach 14 Tagen an den Folgen der Erkrankung und meine 10 Jahre ältere Schwester und ich lagen mit schweren Lähmungserscheinungen über 6 Wochen auf einer Isolierstation einer Kinderklinik. Bei mir bildeten sich die Symptome glücklicherweise vollständig zurück. Das waren Fakten aus Erzählungen bzgl. meiner Kindheit, Erinnerungen hatte ich keine. Solange ich denken konnte, war ich zwar äußerlich einigermaßen ruhig, kam aber schnell in Spannungszustände in bestimmten Situationen. Krankenhäuser, Arztbesuche machten mir immer irgendwie Stress und ich finde es selber seltsam, dass ich dennoch Ärztin geworden bin. Die Zusammenhänge früher Traumata mit aktuellem Erleben waren natürlich auch noch nicht annähernd auf dem Stand wie heute, auch wenn ich wie selbstverständlich davon ausging, dass meine Gefühle sehr abstrakt evtl. etwas mit früheren Erfahrungen zu tun haben könnten. Als ca. 2000 in meiner privaten Situation massive Belastungen kamen, einhergehend mit heftigen Hilflosigkeits – und Ohnmachtserfahrungen, reagierte ich sehr extrem. Ich brachte es natürlich mit der Heftigkeit der Ereignisse in Verbindung. Da ich einige Zeit zuvor von EMDR gehört hatte, suchte ich mir einen EMDR -Therapeuten. Zu meiner vollkommenen Überraschung stellten sich unter EMDR bald ganz frühe Bilder einer Krankenhaussituation dar, könnte ich es nun zusammenfassen, was sich nach und nach aus Körpergefühlen , Bildern und entsprechenden Gefühlen zusammensetzte. Ich könnte es nicht Erinnerungen nennen, es war mir aber vom Gefühl alles sehr vertraut und fühlte sich an, als würde es mir gerade irgendwie geschehen und ich hatte dazu auch das Gefühl, sehr klein zu sein Gefühle, z.B. mich aufrichten zu wollen, aber nicht zu können. Angst, Hilflosigkeit und mehr. Meine Schwester im Bett liegend weiter entfernt zu sehen, zu ihr hin zu wollen, es aber nicht zu können. Dies nun in absoluter Kurzform. Bedingt durch die Sitzungen habe ich mit meiner Schwester über die damalige Zeit geredet. Da sie 10 Jahre älter war, hatte sie natürlich deutlichere Erinnerungen. Ich beschrieb ihr mein Raumgefühl aus der EMDR – Sitzung, weil ich so überrascht über die Klarheit der Bilder war, um zu überprüfen, was ich da gesehen habe. Ich malte schematisch einen Raum auf, so wie er mir vorgekommen war. Ich hatte mich auf dem Rücken liegend empfunden in einem Kindergitterbett und gemeint, sie mit dem nach rechts gedrehten Kopf zu sehen. Dazu war mir, als würde hinter meinem Kopf viel Bewegung passieren und fragte sie, ob an der Stelle die Tür gewesen sein. Sie beschrieb keine Tür, sagte aber, dass es da eine große Fensterscheibe gegeben habe, hinter der die Besucher gestanden und gestikuliert hätten, weil sie nicht auf die Isolierstation durften. Unter EMDR erinnerte ich dann auch auf der linken Seite ein regelmäßiges Tropfgeräusch, was ich mit Erregung erinnerte. Es sei ein ständig tropfender Wasserhahn über dem Waschbecken neben meinem Bett gewesen, erinnerte sich meine Schwester. Unter EMDR verringerten sich verschiedene Symptome, die ich in der aktuellen Situation hatte deutlich. Tropfende Wasserhähne hatten mich schon immer massiv gestört, während ich oft registrierte, dass Andere es gar nicht merkten. Dieses Symptom, wenn auch sehr banal, war ab dem Zeitpunkt auch verschwunden. Insgesamt hatte ich das Empfinden, nach verschiedenen EMDR Sitzungen, dass ich die reale Situation auf eine gewisse Weise ruhiger ertragen konnte. Derartige Situationen habe ich in Abwandlung und in unterschiedlichster Art und Weise auch mit Pat. bearbeiten können. Da meine Redezeit nun fast um ist, wäre mein persönliches Ziel heute nun erreicht, wenn ich Sie einfach nur so neugierig mit meinen Ausführungen gemacht hätte, dass Sie sich diese Abkürzung EMDR merken und versuchen, sich mehr Informationen über EMDR zu besorgen oder sich sogar einen zertifizierten EMDR-Therapeuten suchen, falls Sie sich angesprochen fühlen. Unbedingt sollten Sie nach einer Zertifizierung fragen. EMDR gehört in die Hände von sehr erfahrenen Therapeuten und in psychotherapeutische Begleitung. Obwohl EMDR auf den ersten Blick einfach erscheint, ist es eine hoch wirksame Therapiemethode. Sie ist nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen, da auch verdrängtes u.U. sehr belastendes Material aus abgespaltenen neuronalen Netzwerken sich plötzlich zeigen kann.

Aktuell ist in Deutschland von unserer deutschen Fachgesellschaft auch gerade Ende September ein kurzer informativer Film über EMDR ins Netz gestellt worden. Sie können sich den Film über: http://vimeo.com/107451758 abrufen. Leider gibt es ihn momentan erst auf Deutsch.

Weitere Informationen, sowie zertifizierte Therapeuten finden Sie unter www.emdr-europe.org oder EMDRIA Deutschland (E-Mail: info@emdria.de)
 www.emdria.de.

Oder wenden Sie sich auch persönlich an mich: Dr.A.Berning@t-online.de.

 

Dieser Vortrag wurde in English gehalten. Bitte klicken Sie hier für die englische Originalversion