Vortrag über Traumatische Erfahrungen in der Kindheit: Trigger für verlängerte Stressreaktionen

In Anlehnung an Dr. Hans Selye, ein anerkannter Endokrinologe, der bereits 1936 bahnbrechende Forschungen über die Auswirkungen von Stress auf den Menschen aufzeigte, reagiert der menschliche Körper auf Stress in drei deutlichen Schritten, was er das allgemeine Anpassungssyndrom nannte. Diese besteht aus: Alarmreaktion, Widerstandsstadium und Erschöpfungsstadium. Dies gilt bis heute. Dr. Selye war Pionier bzgl. der Forschungen, dass Stress, insbesondere langanhaltender Stress, auf dem biochemischen Weg jede einzelne Zelle schädigt, die vorzeitige Zellalterung bewirkt und langfristig zu einer Vielzahl von Erkrankungen führen kann. Daher macht es absolut Sinn, inneren Stress zu verringern, wo und wann immer man hierzu in der Lage ist. Für mein spezielles Thema heute ist das dritte Stadium interessant: Wenn der Körper fortwährendem Stress ausgesetzt ist, und genau dazu können traumatische Erfahrungen im frühen Lebensalter führen, lässt unsere Anpassungsfähigkeit nach und der Übergang in das dritte Stadium findet statt: Erschöpfung setzt ein und kann zu einer veränderten Stressreaktion führen, langfristig zu einem Zusammenbruch der lebenswichtigen Organe und Krankheit erzeugen. Forschungsergebnisse zeigen, dass die langandauernden Auswirkungen früher Kindheitstraumata, die mit einem andauernden hohen Stresslevel einhergehen, zu einem erhöhten Risiko führen, als Erwachsene an psychischen Störungen, wie Angsterkrankungen, Depressionen bis hin zu Herz-Kreislauf Erkrankungen und mehr zu erkranken. Der Weg, wie unsere Stressreaktion im Körper verändert wird, ist die sogenannte epigenetische Programmierung, die vererbt werden kann. Die Forschungen im Bereich der Posttraumatischen Belastungsstörung oder PTBS, einer lang andauernden Reaktion nach einem traumatischen Ereignis, zeigen, dass dies nicht bei jedem erfolgt. Die meisten Individuen stehen traumatische Erfahrungen auf natürliche Art und Weise durch. Menschen und Tiere benötigen Fürsorge von ihren Bezugspersonen, um zu überleben. Wenn ein Kind keine durchgängigen, sicheren Beziehungserfahrungen machen kann, oder sogar im schlimmsten Fall schmerzhafte stressvolle Situationen erleben muss, resultiert daraus eine Fehlentwicklung des Gehirns mit der großen Konsequenz, dass diese Person später nur unzureichend mit Stress umgehen kann. Prof. Allan Schore von der University of California, Los Angeles (UCLA), betont, dass, wenn das Kleinkind in den ersten zwei Jahren nicht ausreichend versorgt ist, die Gene für verschiedenste Aspekte unserer Hirnfuktionen nicht funktionieren oder sich nicht einmal entwickeln. Die Gene eines Baby’s werden massiv dadurch beeinflusst, wie es behandelt wird. Der Grund ist das Fehlen von Oxytocyn, unserem Hormon für Fürsorge, Zuneigung und Verbindungsaufbau. Michael Meany von der McGill Universität/Montreal und sein Team sind unter den ersten Forschern, welche die Wichtigkeit der mütterlichen Fürsorge für die Genexpression betonen, die das Verhalten und die Reaktion der Hormone des Hirnstoffwechsels auf Stress steuern, ebenso wie den Einfluss auf Hirnstrukturen, wie z.B. den Hippocampus. Meany und sein Team fanden heraus, dass Unterschiede in der mütterlichen Fürsorge sowohl die kognitive Entwicklung ihres Nachwuchses, genauso wie die spätere Fähigkeit auf Stress zu reagieren, verändern können. Traumata bei Kindern, durch sexuell, physischer oder andere emotionale Misshandlung verändert die Stressmechanismen bei den Kindern und führen dazu, dass sie auch ihr gesamtes Erwachsenenleben anfälliger für Stress bleiben. Der Schlüssel, zu verstehen, wie diese Dinge zusammenhängen, ist die sogenannte epigenetische Programmierung, die ich bereits zuvor benannt habe. Umwelteinflüsse und persönliche Erfahrungen mit langandauerndem Stress erzeugen Veränderungen unserer DNS auf molekularer Ebene. Auf molekularer Ebene hängen diese Verhaltensveränderungen mit einem erhöhten Niveau des Glukokortkoid-Rezeptors im Hippocampus zusammen – einer Hirnregion, die entscheidend für kognitive Prozesse und an Stressreaktionen beteiligt ist. Diese veränderte Expression ist die Folge einer epigenetischen Fehlregulation des Gens für den Rezeptor, der Stresshormone wie Cortison bindet. Die Aktivität dieses Gens wird normalerweise durch DNA-Methylierung verringert, einer epigenetischen Markierung, die Gene stilllegt. Traumatische Erfahrungen führen zu einer Entfernung einiger dieser DNA-Methylierung(smarkierung)en, die eine Erhöhung der Genaktivität und der Produktion des Glukokortkoid-Rezeptors zur Folge hat. Die Folge ist, dass diese Unfähigkeit epigenetisch vererbt werden kann. Um Ihnen ein interessantes Beispiel zu geben: Isabell Mansuy, eine Hirnforscherin und ihr Team an der Universität Zürich/Schweiz Züricher beforschen dieses Thema und versuchen zu überprüfen, ob ihre an Mäusen gemachte Forschung auch genauso auf den Menschen übertragbar ist. Sie und ihr Team pflanzten das Sperma einer männlichen traumatisierten Maus einer vollständig gesunden Maus ein. Der Mäusenachwuchs wurde von der Mutter und einem nicht traumatisierten „Vater“ aufgezogen, so dass beide Eltern als gesund angesehen werden konnten. Jedoch zeigten jungen Mäuse die gleiche Unfähigkeit adäquat auf Stress zu reagieren und die gleichen Verhaltensauffälligkeiten wie ihr biologischer Vater, obwohl sie unter besten Bedingungen aufwuchsen. Mansuy’s Beobachtungen entsprechen den Ergebnissen von Meany’s Forschungen und diese legen zusammen nahe, dass die epigenetische Vererbung tatsächlich stattfindet. Aktuell haben Isabell Mansuy und ihr Team aufzeigen können, dass die epigenetische Fehlregulation der Glucocorticoidrezeptoren der Gene umkehrbar ist. Die Auswirkungen von Kindheitstraumatisierungen können in einem wenig stressbelasteten und fördernden Lebensumfeld über längere Zeit korrigiert werden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Anhaltender Stress in der Kindheit kann ein Erwachsenenleben anfällig für Stresserkrankungen machen. Wenn eine Person ernsthaft traumatisiert wird, kann der Heilungsprozess überfordert werden mit der Folge, dass die störenden Erfahrungen unverarbeitet bleiben. Diese unverarbeiteten Erinnerungen können im Gehirn in einer „rohen“ Form verbleiben und jederzeit beim Erwachsenen wieder ausgelöst werden, z.B. wenn stressbeladene Lebensereignisse Ähnlichkeiten zur traumatischen Erfahrung haben. Es gibt keinen Zweifel, dass Psychotherapie ein sehr effektiver Weg ist, um die persönlichen Umstände im Leben von Kindern, Jugendlichen und natürlich auch Erwachsenen zu verbessern, als auch in jedem Falle Stresserleben entgegen zu wirken. Besonders eine Methode, für die ich mich spezialisiert habe, möchte ich Ihnen nun präsentieren, falls Sie Ihnen nicht auch schon bekannt ist.: EMDR. In meiner mehr als zwanzig jährigen Tätigkeit als Therapeutin bin ich mit vielen Patienten mit unterschiedlich schweren Traumatisierungen in Berührung gekommen. In den meisten Fällen hatten die Patienten, die schnell störbar waren und viele Stresssymptome beschrieben nicht nur eine aktuelle traumatische Erfahrung, sondern auch bereits in der Kindheit. Es gibt sicherlich unterschiedliche Möglichkeiten für die Behandlung. Aber für mich ist die effektivste Methode EMDR. Leider kann ich Ihnen nur diese grobe Erklärung geben: Die Abkürzung steht führ: Augen-Bewegungen, Desensibilisierung und Nachprozessierung. Es ist eine Psychotherapie-Methode, die ca. 1990 von der kalifornischen Psychologin Dr. Francine Shapiro für die Behandlung von traumatischem Stress entwickelt wurde. Einfach geschildert, leiten wir einen neuen Informationsprozess im Gehirn von Menschen mit stressbeladenen Lebensereignissen ein, indem wir schnelle Augenbewegungen von rechts nach links anregen. Mittlerweile ist bekannt, dass diese sogenannte bilaterale Stimulation des Gehirns über die Augen genauso über die sogenannte akustische Stimulation oder über Berührungen erfolgen kann. Z.B. berührt man dabei die li. und rechte Hand abwechselnd. In manchen Fällen kann man direkt mit der Technik arbeiten. Manchmal ist es jedoch dringend erforderlich, die Technik mit in eine längerfristige Therapie einzubetten. EMDR verwendet als Weg die natürliche Selbstheilungsfähigkeit des Körpers und gestattet dem Gehirn, die psychologischen Probleme im gleichen Grad wie körperliche Erkrankungen zu heilen. Da EMDR bewirkt, dass Geist und Körper zugleich heilen, kann die Behandlung sehr schnell wirken. Die Anzahl der Sitzungen, die für eine EMDR Behandlung notwendig sind, variieren und hängen sehr von dem zugrunde liegenden und zu behandelnden Sachverhalt ab. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Behandlung um so kürzer ist, je umschriebener eine traumatische Erinnerung ist. Neue Forschungen zeigen auf, dass EMDR jedoch nicht nur für die Behandlung von traumatischen Stress infrage kommt, sondern genauso für Symptome aus anderen stressbelasteten Lebensereignissen. Diese können eine Kernsymptomatik einer späteren Depression oder Angsterkrankung hervorrufen. Aus diesen Gründen macht es absolut Sinn, unsere eigenen stressbelasteten Lebenserfahrungen mit EMDR behandeln zu lassen, um langfristig einer depressiven Erkrankung entgegenzuwirken. Diese Forschungen decken sich vollständig mit meinen persönlichen Erfahrungen in Langzeitpsychotherapien, nachdem EMDR für spezielle Themen mit integriert wurde. Seit ich mit dieser Methode arbeite, bin ich wieder und wieder von den Effekten durch EMDR beeindruckt worden, wie sie deutlich einen bestehenden Stresslevel verringern können und daher einer epigenetischen Vererbung verhindert werden kann. Ich durfte viele Patienten durch enorme Entwicklungen begleiten und Zeuge von beeindruckenden Veränderungen werden. Auf dem Boden meiner eigenen Erfahrungen glaube ich, dass EMDR eine der effektivsten Methoden ist, frühe, als auch aktuelle traumatische Erfahrungen zu behandeln. EMDR gehört in die sachkundigen Hände erfahrener Therapeuten, oft in begleitender Psychotherapie. Auch wenn es auf den ersten Blick sehr einfach wirkt, ist es eine hoch effektive Methode in der Psychotherapie und kann Risiken und Nebenwirkungen erzeugen. Zusammenfassend ist meine Empfehlung, selbstverständlich zunächst die Entstehung von traumatischen Kindheitserfahrungen zu verhindern, aber darüber hinaus in jedem Fall, so früh wie möglich eine Behandlung zu beginnen, um zu verhindern, dass langandauernder Stress in unseren Genen abgelegt wird, mit allen dramatischen daraus folgenden Konsequenzen. Auch wenn die epigenetische Fehlregulation unserer Stressrezeptoren umkehrbar ist, sollten wir alles tun um Traumatisierungen vorzubeugen. Denn für das Individuum bedeutet es über lange Zeit Leiden ausgesetzt zu sein und erhöht darüber die Möglichkeit zu erkranken.

 

Dieser Vortrag wurde in English gehalten. Bitte klicken Sie hier für die englische Originalversion

Moskau, 17 September 2016